Montag, 12. März 2012

Kussecht


Schlechte Erfahrungen überdauern alles. Sie sind wie spröde Lippen, die an kalten Wintertagen aufreißen und brennen: Egal, welches Wundermittel du versuchst – dieses Spannen in den Mundwinkel bleibt. Und selbst im Sommer, wenn der Lipgloss mit Moisture-Effekt die Lippen zum Glänzen bringt, weißt du noch, wie sie sich angefühlt haben. So etwas vergisst man nicht.
 
In dieser Weise verhält es sich auch mit Lebensmomenten, die uns von unserer inneren Mitte abbrachten, die uns dazu zwangen, uns selbst in der jämmerlichsten Pose von oben zu betrachten und nichts als allesergreifende Leere zu empfinden. Das ist es, was sich tief in uns festkrallt.
Und so passiert es, dass Probleme aus Problemen entstehen; dass wir nicht anders können, als wir eben können und nach dem Aufprall völlig erschöpft den zehnten Stock erreichen, um noch einmal zu springen. Schließlich geschieht der Durchbruch in der Seelenheil-Sitzung nicht etwa mit dem Satz: „Ich bin total verkorkst, weil ich in der vierten Klasse beim Lesewettbewerb gewann.“ Sondern weil wir uns erinnern – an das Schlechte. An das, was wir offensichtlich bislang übermalt hatten, um den Sommer mit den neuen Farben zu genießen – das uns aber bei jedem Nachziehen vor dem Spiegel durchzuckt. Denn ganz egal, wie viel wir auftragen: Der nächste Winter kommt. Und allein der Gedanke daran liegt wie ein mieser Grauschleier über der Bunte.
Wir könnten sie, frei von greller Chemie und völlig auf sich allein gestellt, abheilen lassen, erwachsen und ganz natürlich mit dem Gedanken umgehen, dass das nicht zwingend das letzte Mal gewesen sein muss. Aber weil wir wissen, dass diese sensible Stelle unseren Worten Formen verleiht und gelernt hat, ein Lächel so wunderschön vorzutäuschen, liegt es manchmal näher, sich gegen die schmerzhafte Aufarbeitung zu entscheiden – und im Farbrausch zu kussecht zu wechseln.

Dienstag, 14. Februar 2012

Cheers


Mit Männern verhält es sich manchmal wie mit dem Lieblingsgetränk: Über die zahlreichen Bar-Abende hinweg hat man herausgefunden, auf welche Basis man besonders steht, welche Komponente das Ganze noch toppen – und ob man auf Cocktailkirschen verzichten kann oder eben nicht. Wurde man also eines Abends, völlig unerwartet und ahnungslos, von einem sagenhaften Mix an Spirituosen, Säften und schönster Deko völlig um den Verstand gebracht, möchte man nur noch ihn, den Einen. Diese eine besondere Mischung aus sauer, süß und viel zu stark, die die Ohren sausen und die Mundwinkel so beschwingt nach oben schnellen lässt.
Dann: der Morgen danach. Die Erinnerung verschwimmt, das letzte Nippen verschwindet gedanklich zwischen Nikotin und Käse-Nachos und der Abend bleibt als buntes Aquarell in unseren noch zerzausten Köpfen. Bis das Gedächtnis nur noch mickrige Überbleibsel dieser besonderen Begegnung zusammenkratzt und wir es wieder brauchen: dieses Kribbeln in der Zunge, bevor sie taub wird und die warmen Wellen, die nach dem ersten Lippenbefeuchten selbst unser Rouge noch erröten lassen. Doch was kommt? Enttäuschung. Denn was unseren Puls im Stammlokal noch vor zwei Wochen zum Rasen brachte, ist jetzt viel zu bitter, treibt uns die Tränen in die Augen und lässt uns zeitgleich panisch nach Luft schnappen. Ein guter Drink ist eben nicht zwingend ein guter Drink, nur weil alle Zutaten in ihm vereint sind – die feinfühlige Mischung macht’s.


Ich für meinen Teil bin ein großer Freund des Whiskey Sours: Da hast du etwas wirklich Starkes, etwas fast schon Fundamentales, neben dem du noch mehr Mädchen sein kannst, als es der pinke Lippenstift am Gläserrand eh schon zulässt. Dazu die Zitrone. Pur würde sie vielen von uns den blanken Schmerz ins Gesicht jagen – in Kombination mit der richtigen Menge an fast schon widerlich süßem Zuckersirup hingegen bildet das die Perfektion an geschmacklicher Berg-und-Tal-Fahrt.
Doch die Erfahrung lehrte mich, dass mir auch ein Whiskey Sour den Abend verderben kann: Indem er nur stark ist – ganz ohne süß-saurem Zungenspiel. Oder viel zu süß. Oder zu sauer. Oder – und das ist wohl der schlimmste aller Fälle – ohne Whiskey.
In der Karte finde ich ihn überall unter seinem Namen, er ist ein Klassiker. Aber es passiert nur wirklich selten, dass er mich so umhaut wie beim ersten Mal. Ich kann demnach zweifelsfrei sagen, dass ich in mehr Gläser voll Gepanschtem als gut Gemixtes hineinsah.
So laufen wir alle Gefahr, uns mit der Zeit mit den billigen Fusel-Klonen und dem verhunzten Zuckerrand einfach abzufinden. Weil wir den Unterschied nicht mehr bemerken. Und schnell vergessen wir den Grund, warum wir eigentlich immer auf die Cocktail-Happy-Hour verzichteten, um lieber einen Longdrink zu bestellen. Und beginnen zwangsweise, an viel zu Süßem oder etwas mit Wodka Gefallen zu finden.
Ich habe ihm noch mal eine Chance geben. Weil ich in alten Erinnerungen schwelgte. Oder einfach nur keine Lust mehr auf „Spanish Temptation“, „Watermelon Man“ und all die anderen Schirmchen-Variationen hatte. Ich versuchte es einfach; an dem Mahagoni-Tresen auf dem schwarzen Leder-Hocker, weil der Barkeeper so unglaublich weise aussah.
Und als ich diesen charmanten Klassiker der alten Schule im Tumbler in meiner Hand schwenkte, die Cocktailkirsche schon zwischen den Fingern zwirbelnd, wusste ich, warum ich ihn mehr mochte, als all die anderen in schillernden Chemie-Farben, mit kiloweise Tropen-Obst verziert: Weil er klassisch war. Und weil ich ihn genau so mochte. Nur hatte ich ganz vergessen, wie die richtige Mischung schmeckte.

Montag, 13. Februar 2012

Felsenlose Brandung



In dieser mehr als wirren Welt sind wir dankbar für jeden Fels, der unumstößlich in der Brandung steht – ganz egal wie hoch die Wellen schlagen. Weil diese wenigen einzelnen uns Sicherheit bieten; keine Fragen aufwerfen. Selbst wenn ihre Existenz Schmerz verheißt. Wir wissen es ja.
Schwierig wird es, wenn diese festen Gegebenheiten keinen Halt mehr finden. Wenn sie davon gespült wurden. Wenn ein gängiges Verhalten keine Verwendung mehr findet und dafür von völlig Absurdem ersetzt wird.
Was machen wir ohne all die Klischees, Schubladen und vorgefertigten Deutungsmustern? Wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, aber kein Fels weit und breit zu sehen ist? Wir können noch einen Schritt weiter gehen, bis auf die Zehenspitzen. Oder einfach zurück ans Land, um von dort aus die Weite zu genießen. 
Sind wir also eher bereit, einen brüchigen Felsen zu greifen, als uns in warmen Gewässern treiben zu lassen – mit der Option, eine ganze Insel zu entdecken?

Samstag, 4. Februar 2012

Mit Otis und 30 pinken Törtchen einen Schritt nach rechts


In Momenten der Selbstzweifel halte ich es in der Regel wie folgt: Ich versinke in den Tiefen meines Bettes, umzingelt von Kissen, Decken und weiterem Weichen, setze die Flasche Roten an und unterbreche das Kippen nur, um die schnulzigen Filmklassiker an die wirklich herzzerreißendsten Stellen vorzuspulen. Dann suhle ich mich im eigenen Mitleid und bedaure mich für die offensichtlich mehr als unfaire Version meines Lebens.
Das Ganze zieht sich meist über eine Hand voll Tage hin, in denen ich für die Außenwelt unerreichbar bin. Bis irgendjemand mal wieder nicht locker lassen kann und mich mit permanentem Telefongeklingel quasi an den Haaren aus dem wehleidigen Emotionssumpf zieht. Doch diesmal nicht. Nicht so. Ich entschied mich gegen die alte Taktik – für eine neue.  


Es brauchte diesen einen Ort, an dem mein Geist in einem gut gepolsterten Himmelbett eine Zeit lang verschnaufen kann. Weil dort das aus den Augen Geratene gleichsam aus dem Sinn verschwindet. Und um das ganze wirre Überlegungsgestrüpp endgültig gen Kopfkino-Ausgang zu lotsen, entschied ich mich im heiligen Gedankenhimmel für das für mich Undenkbare: Mit der seelischen Unterstützung von Otis Redding heizte ich den Backofen vor und griff mit beiden Händen ehrfürchtig zur Backbibel. Der Inhalt blendete: all die kleinlichen Maßeinheiten und die penible Vorschrift über das Trennen von Eigelb und -weiß. Jeder, dessen Lebensstil von Maßlosigkeit geprägt ist, weiß, wie ungeheuer einem die Konfrontation mit dem Regelkonformen sein kann.
Aber nachdem ich mich mit dem Farbverlauf der Eier siegreich herumschlug und lernte, den Mixer nicht bei voller Umdrehung aus der Rührschüssel zu nehmen, hatte es etwas sehr Beruhigendes.
Kann es manchmal nicht auch einfach offensichtlich sein? Warum immer auf die eigene Faust, wenn doch das Rezept bereits geschrieben wurde? Wir müssen keine 5-Sterne-Patissières sein, um halbwegs nette Törtchen zu kreieren – weil es im Grunde nur der richtigen Maßangabe bedarf.
Vier Stunden später war das erste Blech meines Lebens komplett: 30 kleine Schoko-Cupcakes, deren neonpinke Hauben abwechselnd mit rosaroten Herzchen und pinkem Glitter übersät waren.
Ich hatte also gebacken. Was gar nicht so unglaublich langweilig und aufwendig war, wie ich immer dachte. Gut, es ist auch kein konkurrierendes Hobby zu Bungee-Jumping – aber wenn ich mir in den Kopf zurückrufe, dass meine alternative Problembewältigung üblicherweise ihren dramatischen Höhepunkt auf dem Boden der Weinflasche bei Maggie Rices Unfall (nachdem Seth endlich seine Unsterblichkeit für sie hergab) fand, sind ein gutes Dutzend Schoko-Törtchen wohl zumindest nachhaltiger.
Und als mich der großartigste Soul-Sänger aller Zeiten über die wirklich wichtigen Ding des Lebens aufklärt, wird mir klar, dass es manchmal genau das Richtige ist: seine eigenen Klischees zu brechen, sich selbst zu verwundern. Ewig Weg x zu wählen, weil er bisher mehr zum Image der eigenen Selbstwahrnehmung passte, kann am Ende auch in eine niederschmetternde Sackgasse führen. Dann sind wir uns vielleicht auf den ersten Blick immer treu geblieben, aber der zweite fragt: Ist nicht gerade das ein bisschen zu einfach?
Und während sich das rosarote Wasser durch den Abfluss zwirbelt, wird mir klar, dass wir es sind, die die Wahl haben: Gehen wir den üblichen Weg geradeaus weiter – oder brechen wir aus, um unseretwillen, und gehen einfach mal einen Schritt nach rechts?

Sonntag, 29. Januar 2012

Zwei Karten für Zsa-Zsa-Zsu, bitte! oder: Weil das Leben auch keinen Oscar kriegt


Gute Filme sind selten. Die meisten enttäuschen mit einer platten Rollenbesetzung und einem noch platteren Plot. Dazu kommen ein meist mieser Soundtrack und grausame Kamerafahrten. Doch das Problem an schlechten Filmen sind nicht die Filme selbst, sondern es ist die Tatsache, dass wir sie uns erst anschauen müssen, um am Ende zu wissen, ob sie uns gefallen oder nicht.


Nach einigen Jahren mit Hollywood, hier und da ein paar französischen Bewegtbild-Aufnahmen und zahlreichen Action-Streifen mit übermäßigem Pengpeng hat sich meine Leidenschaft für die Kunst der Filmrollen nicht nur verstärkt, sondern durchlief auch eine Art Filterungsanlage: Ich weiß jetzt, dass mich Komödien in neun von zehn Fällen nicht zum Lachen bringen, Dramas vielleicht dramatisch, aber mir in der Regel zu langatmig sind und sowieso alles, worin Daniel Craig (oder wahlweise Ashton Kutcher) zu sehen ist, für mich und meine optische Wahrnehmung schlichtweg nicht in Frage kommt. Gleichermaßen konnte ich jedoch ebenfalls beobachten, dass Jack Nicholson ein fast ausnahmsloser Garant dafür ist, dass ich mir den Film mindestens drei Mal in unmittelbarer Reihenfolge hintereinander ansehen werde und alles, was in den 90ern aus Quentin Tarantinos Feder entsprang, meine bedingungslose Liebe verdient.
Und weil ich darum bemüht bin, meinen gedanklichen Filme-Filter hin und wieder um ein paar Schubladen zu erweitern, finde ich mich also an einem Samstagabend an der Kinokasse wieder, wo mich eine schüchterne Stimme unter einem dunklen Cap fragt: "Welchen Film möchten Sie denn sehen?" 
Ich bin mir unschlüssig. Die aktuelle Daniel-Craig-Sache fällt schon mal weg, genau wie alles mit buntem Cover und affektiert lachenden Gesichtern. Nach einem kurzen Brainstorming zwischen meinem geistigen Filmkritiker und der Sammlung an bereits Gesehenem und dem daraus resultierenden Erfahrenen befinden sich zwei Filme in der engeren Auswahl: Ein brutaler Mafia-Thriller mit Ryan Gosling in der Hauptrolle konkurriert mit einem politisch angehauchten Verschwörungs-Krimi. 
Meine Augen schnellen auf die FSK-Angabe: Verschwörerische Politik gibt es bereits für alle ab 12, Ryan Gosling darf man sich erst mit 18 ansehen – ein Dilemma, für das das Leben keine bessere Metapher hätte finden können. Denn die Frage des Kassierers sollte eher lauten: "Welcher Film wird Sie glücklich machen?" 
Ich habe den Trailer bereits gesehen: Ryan Gosling mit spektakulären Autostunts, bösartigem Gemetzel und einer musikalischen Untermalung, die schon jetzt zu meinem Jahresliebling 2012 gekürt wird. Ich habe bereits unzählige dieser Trailer gesehen. Und die Filme, die dahinter steckten, waren immer aufwühlend, actionreich und haben mich stets sofort gepackt – bis der nächste kam. Auf der anderen Seite steht der Film, der mit großer Sicherheit in einem Happy End münden wird; vielleicht ab und an mal ein paar unterhaltende Schockmomente bereit hält, aber keinesfalls die Rate der Hand-vor-die-Augen-Momente des Mafia-Thrillers übertreffen wird. 
Was also wollen wir? Eine realistische Bebilderung entsetzender Tatsachen, mit viel Situationskomik und einem appellierenden Sarkasmus, jedoch geschwächt durch eine eher mittelmäßige Charakter-Besetzung oder einen wortkargen, psychisch völlig verworrenen Stuntman, der bei phänomenaler Musik abwechselnd mit Schraubenschlüssel und Messer Mafia-Mitglieder blutig niederschlägt? Ein rundum gutes Kino-Nachgefühl steht einer (wenn auch nur kurzweiligen) Gefühls-Achterbahn der „Oh mein Gott!“s und „Er kann doch nicht!“s gegenüber – wobei Zweiteres arrogant grinst. Tatsache ist, wir müssen uns entscheiden. Und das zeitnah, sonst sind die guten Plätze vielleicht schneller ausverkauft, als wir Zsa-Zsa-Zsu sagen können.

Mittwoch, 25. Januar 2012

Von Eseln, Yoga und dem inneren Ich



Ein mir bekanntes und dazu bemerkenswertes Mädchen stellte letztens eine wirklich weise Frage: Ausgeglichen lächeln oder dramatischer Wimpernschlag?
Noch vor einem Monat hätte ich diese Frage stirnrunzelnd mit einem abfälligen Zischen in die „Was für eine Frage?“-Schublade geworfen. Weil ich fest davon überzeugt war, dass Mädchen mit Hang zur grenzenlosen Dramatik das aufregendere Leben führen. Jetzt sehe ich das noch immer so – habe aber angefangen, zwischenzeitlich ausgeglichen zu lächeln.

Ich bin kein Yoga-Fan. Auf der Matte zu sitzen und die Hände im Schoß zu falten macht mich aggressiv. Ich habe das ausprobiert – und war keine Freude für Lehrer und Kurs. Aber ich habe den Sinn verstanden: Zu sich selbst zu finden ist ein manchmal wirklich unkomfortabler Weg, aber er lohnt sich. Und ich meine nicht das Ich, welches wir tagtäglich versuchen, aufrecht zu erhalten – vor Kollegen, dem Gemüsehändler oder dem Spiegel im Club, wenn wir den Lippenstift noch mal nachziehen. Sondern das tatsächliche Ich. Das, was sich unter der perfekten Blondierung befindet, sich hinter dem XXL-Schal versteckt und dessen Füße elf Stunden am Tag in High Heels durch die Gegend stöckeln. 
Auf dem eher holprigen Pfad, diesem Ich in die Augen zu schauen, kommt man irgendwann an die Kreuzung: Lass ich das jetzt einfach so oder änder ich was? Selbstgefällig und egozentrisch, wie ich es in der Regel halte, habe ich mich über einen unüberschaubaren Zeitrahmen hinweg für ersteres entschieden. Und dagegen möchte ich auch keinerlei Einwand erheben. Nur im Jetzt und der Zukunft öfter mal über die mir offen stehenden Optionen nachdenken – um dann vielleicht die ein oder andere doch zu ergreifen. 
Wir sollten nichts ausschließen, nur weil wir es schon immer ausgeschlossen haben. Natürlich: Manchmal ist ein Esel nur ein Esel. Aber wissen wir, wohin er uns bringen könnte?

Montag, 23. Januar 2012

Euphorische Gelassenheit

 

Missglückte Ereignisse meines Lebens haben mich eine Hand voll Dinge gelehrt. Vor allem wohl, dass ich nicht fähig bin, professionell mit ihnen umzugehen. Stattdessen suche ich verzweifelt den Stecker, den ich ziehen kann, um der bunten Beleuchtung drum herum den Saft abzudrehen. Was ich nicht sehe, existiert nicht – dafür danke ich dem naiven Teil meines Gehirns.
Doch nicht nur meine infantile Art der Problembewältigung resultiert aus diesen Negativ-Erfahrungen. Auch die Erkenntnis, dass sie mit steigender Erwartung im Vorfeld letzten Endes einen größeren Schatten werfen. Ganz klar: Je höher wir klettern, desto tiefer der Fall. Für diesen Geistesblitz muss man nicht zwingend das Matterhorn bestiegen haben. Und trotzdem scheint es eine unüberwindbare Differenz zwischen mir und dieser logischen Schlussfolgerung zu geben. Denn ich bin grandios im Ausmalen präfaktischer Details. Bereits vor dem ersten Wort kann ich mir das Ende des Satzes denken. Ich schiebe das nicht aufs Sternzeichen – die halte ich allgemein für absolut überbewertet. Ich denke, es ist angestautes und unbenutztes kreatives Potential. Und das braucht ein Ventil.
Ich habe jetzt angefangen, meinen Kleiderschrankinhalt abwechselnd nach Farben, Formen und Schnitten zu sortieren – und mir die Erkenntnis rund um das vorzeitige Kreativspinnen zurück in den aktiven Bereich meines Frontallappens gezogen. Von dort aus kann es dann ganz selbstverständlich in die prognostizierten Handlungskonsequenzen einfließen.
Das Fazit? Keine Erwartungen, ruhiger Puls. Und ich hatte ganz vergessen, dass ich dieses Kleid habe – blau und ungetragen.

Dienstag, 17. Januar 2012

Reset

„…ein Vorgang, durch den ein elektronisches System in einen definierten Anfangszustand gebracht wird. Dies kann erforderlich sein, wenn das System nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert und auf die üblichen Eingaben nicht reagiert.“
Ich weiß gar nicht, wie lang ich gebraucht hätte, diesen Knopf zu finden. Dabei hing ich schon eine doppelte Ewigkeit fest. Im Kopf hatte ich ihn schon gefühlte Millionen Male gedrückt. In der Realität sah das bedauernswerter Weise anders aus. Bedauernswert zum einen, weil ich technisch gesehen eigentlich über ein eher überdurchschnittliches Wissen verfüge. Zum anderen, weil ich doch nahezu besessen davon bin, selbst „aufs Knöpfchen zu drücken“. Dieser Spaß wurde mir nun abgenommen. Und damit auch eine endlose Liste an Entscheidungen. Fühlt sich gut an. Irgendwie. Vielleicht. 

Sonntag, 15. Januar 2012

Wir würden gewusst haben


Wir wissen nicht, was wir hatten, bis wir es nicht mehr haben? 
Davon bin ich nicht überzeugt. 

Ist doch das Verlust-Gefühl nur das Symptom eines Mangelzustandes: Wie bei einem langanhaltenden Überkonsum alias uneingestandenes Suchtproblem setzen die ersten Erscheinungen des Entzugs sehr bald schon nach dem Absetzen der Substanz ein. Und das nicht aus dem Grund, unsere innere Stimme aufschreien zu lassen, die uns folglich von der Wichtigkeit und Besonderheit des nun nicht mehr Existenten zu überzeugen versucht, sondern allein aus niederen kausalen Bestimmungen der Abhängigkeit. Weil wir uns über den Zeitraum hinweg daran gewöhnt hatten; unsere Hochs und Tiefs mithilfe dessen durchstanden, weil es uns an den richtigen Stellen betäubte und an den noch viel wichtigeren dieses Kribbeln verursachte. 
Und hätten wir nicht bereits währenddessen bemerkt, dass es ist, so wüssten wir nicht, was wir vermissen würden. Also kann ein nachträgliches Sehnen nicht wahrhaftig sein, waren wir uns nicht schon vor dem Verschwinden des zu Vermissenden bewusst.

Ähnlich verfälscht hält es sich mit der Glorifizierung dessen, was nicht mehr ist. Während wir im aktiven Sein-Zustand bereits nur begrenzt fähig sind, es zu charakterisieren und werten, wird es mit seinem Verlust quasi unmöglich, objektiv über Pros und Contras zu entscheiden. Wie auch? Ist das zu Beurteilende doch nicht mehr greifbar.
Die Grenze zwischen Gutem und Schlechtem verwischt mit der voranschreitenden Zeit - so sehr, dass wir Gefahr laufen, das Negative nicht mehr als solches erkennen zu können. Dann beginnt die Kreation einer völlig neuen und eigenständigen Gedankenwelt, gespickt mit Gefühlen, Visionen, Hätte und Wenns, mit naivem Augenverschließen und schwachsinnigem Endlos-Hoffen.

Ehe wir uns versehen, hängen wir an Unnötigem, verteidigen Gedankenloses und finden uns in einem Kreislauf wieder, den zu durchbrechen unmöglich scheint. Aber das wussten wir ja.

Freitag, 13. Januar 2012

"Eloquenz, Witz und Talent"


Es ist nicht bewiesen, dass Karma ein Gesetz ist. Dass es sich, ähnlich wie die Schwerkraft, einer unumstrittenen sowie äußerst sinnvollen Existenz erfreut. Niemand presste es in eine Formel. Aber da auch physikalische Gesetzte erst nur auf Thesen basierten, bin ich guter Hoffnung. Und glaube.



Karma ist das, was wir meist als Rechtfertigung für die Missgeschicke verwenden, die uns auf dem Weg zu x oder y widerfahren. Oder das, was uns als Fratze der Realität ins Gesicht starrt - und uns unumgänglich dazu auffordert herauszuschreien: "Warum ich?" Um es im gleichen Atemzug zu beantworten. Es ist vieles: Lebensweisheit, Motivation, einziger Strohhalm. 
Doch vor allem wirkt es wohl beruhigend. Weil wir davon ausgehen dürfen, dass eine moralische Instanz über uns richtet, die keinesfalls von Staat oder Religion inszeniert ist, sondern sich als freigeistliches Verständnis in die einzelnen Bahnen menschlichen (Nach-) Denkens schiebt. 
Also können wir uns getrost zurücklehnen, das Schirmchen im Glas drehen und die ausgleichende Gerechtigkeit einen Höheren verteilen lassen. Oder aber wir malen uns aus, wie wir, in Karmas Schuhen steckend, den ein oder anderen für seine ausschweifende und vor allem nicht akzeptable Lebensführung bezahlen ließen. Doch werden wir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Die eigene Miese-Punkte-Liste auf diese Weise weiterhin in die Höhe zu treiben, wäre mehr als nur Ironie.

Doch was ist mit denen, die dem Ironischen nicht mächtig sind? Die das Brauenzucken ignorieren und gar nicht erst erkennen, dass es ausgesprochen wertlos ist, den Handlanger des Karmas zu mimen, nur um eigenen, ebenfalls verwerflichen Groll zu befriedigen? Dieser Ausdruckstanz eines getroffenen Egos lässt die Nadel unweigerlich ausschlagen. Denn niemand ist der Materie des Karmas so nah, um persönlich über Ausnahmen zu feilschen. Noch nicht einmal das schöne Schwabenland.

Sonntag, 8. Januar 2012

Konsequenter lügen, mehr rauchen und nicht mehr so nett sein


Wer zum Teufel hat eigentlich diese verlogene Sache der guten Vorsätze eingeführt? Oder besser: Wer verdammt hält sich daran? 


Es gibt immer die gleichen leeren Worthülsen, die auf die Frage folgen, was wir nächstes Jahr besser, nicht mehr oder viel öfter machen werden – zumindest wollen. Erst mal. Dann schiebt sich der kleine Zeiger über die große Zwölf und wir wissen: Wir werden es nicht tun. Wir werden es nicht besser machen, es nicht lassen und anderes schon gar nicht häufiger tun – jedenfalls nicht in den ursprünglich geplanten Anwendungsgebieten.
In den letzten Sekunden des Jahres habe ich die vergangenen zwölf Monate im bunten Schnelldurchlauf Revue passieren lassen. Und mir fiel auf: Es gibt in der Tat einige Dinge, die ich wenn auch nicht besser, aber dennoch anders machen könnte.
Zum Einen wäre da die Sache mit der Wahrheit. Wie weit kann es uns bringen, ehrlich zu sein? Natürlich nicht in eine aufrichtige Verlängerung, sollten wir es nicht im großen Stil veranstalten. Und dennoch ist es ab und an nicht ganz ohne Nutzen, mit Wahrhaftigem eher sparsam umzugehen. Das wäre auch eher Zurückhaltung von Informationen, nicht direkt Lügen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass das Vorenthalten ausgewählter Tatsachen nicht zwingend ein gebrochenes Gebot oder gar Sünde ist, sondern vielmehr zum Selbstschutz dient.
Ein anderer Punkt: Wein, Zigaretten und all das Teufelszeug. Tragen sie vielleicht nicht unbedingt zur körperlichen Gesundheit bei – bringen sie dennoch nachweislich ein paar Bereiche im Gehirn zu höchst kreativer Leistung. Und was der wortgewandten Seele gut tut, sollte unterstützt werden. Absolut.
Und der letzte Punkt, der mich in meinem Jahresrückblick kurz zum Stoppen brachte, ist meine Verschwendung von Freundlichkeit. Nicht jene, die aus tiefstem Herzen kommt, sondern jene, die völlig falsch und heuchlerisch ist. Denn: Ja, ich heuchle. Manchmal, weil mir alles andere zu anstrengend ist. Und manchmal nur, weil ich mich vor einer Haftstrafe wegen schwerwiegender Körperverletzung schützen möchte. 
Aber vor allem, weil mir Anstand und Freundlichkeit ins Blut geimpft wurde. Was einer völligen Doppelmoral gleicht: Sollte gutes Benehmen doch Positives nach sich ziehen. Tut es aber nicht. Weil wir Menschen sind. Und der Mensch nicht für Aufrichtigkeit geschaffen wurde.
Zusammengefasst bedeutet das wohl Folgendes: Für 2012 nehme ich mir fest vor, meinen persönlichen Bedarf an Selbstschutz zu erhöhen, offensiver Kreativität zu fördern und menschlicher zu sein.

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Plus

"Wir sind die Summe aller Menschen, denen wir jemals begegnet sind", ein Satz, der mich innerhalb der vergangenen Tage mehr als nachhaltig beschäftigte.


Es ist gibt Menschen, die machen uns stärker. Weil sie an uns glauben, hinter uns stehen und uns die Haare halten, wenn wir nach vorn gebeugt fest der Überzeugung sind, das nächste Mal weniger Cocktails wahllos hinunterzuspülen. Andere treiben uns das kitschigste Lächeln ins Gesicht und machen uns glücklich - aus welchen Gründen auch immer.
Und dann gibt es jene, die uns bereits unzählige Male dazu brachten, mit der Decke über dem Kopf tagelang in der gleichen Pose zu verharren, mit Zwischenausflügen zum Weinhändler des Vertrauens - in der Hoffnung, wir würden uns einfach auflösen. Diese sind es auch, die uns noch vor einer zweistelligen Uhrzeit auf der Straße begegnen - wenn wir zwar entzückend aussehen, aber weniger entzückt über ihren offensichtlichen Lebensbeweis sind. Schließlich haben sie uns irgendwann mal dazu gebracht, geisteskranke Rachepläne zu schmieden; nur der Vergeltung wegen. Todsünde? Ja. Unangebracht? Nicht im Geringsten.

Wenn also die Guten wie die Schlechten mit ihrer Anwesenheit in unserem kurzweiligen Dasein herumpfuschen und nachträgliche Spuren hinterlassen, um uns auszumachen, wieso setzen wir dann alles daran, das gute wie schlechte Herumgepfusche nach dem offiziellen Ableben der Einzelnen in unserer emotional-verworrenen Chaos-Theorie namens Gefühlswelt herauszuschneiden? Sollten wir nicht dankbar sein? Für die Erkenntnisse, für das Mehr-Wissen, für das Wachsen? Wir könnten uns weise verhalten: Ihre Existenz akzeptieren und den nicht wiedergutzumachenden Schaden als Neuanfang sehen. 
Könnten wir. Wären da nicht all die bösartigen Wunschvorstellungen, Stoßgebete und das niederträchtige Fingerkreuzen. Die dunklen Gedankengänge, in denen wir fabelhaft aussehen und hämisch Grinsen.

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