Freitag, 6. August 2010

Unterm Strich.

Ich, als Freundin verallgemeinernder Vorurteile, habe meine Laufzeit im Online-(„Ich-finde-irgendwann-die-ganz-große-Liebe“-)Prozess offiziell beendet. Seit nunmehr als fünf Monaten testete ich mich durch die Amors und Hengste der virtuellen Herzensweltmit nur ernüchterndem Fazit.
Bereits zu Anfang war mir klar, dass dieses Unterfangen kein leichtes sein wird. Mit tatkräftiger Unterstützung meiner guten Freundin S. entpuppte sich die große Internetliebschaftelei jedoch als gängiger und zuweilen äußerst amüsanter Zeitvertreib.
So trafen wir auf Katzenfreunde, die keinen Zweifel daran ließen, die Bedürfnisse ihrer pelzigen Wegbegleiter über die der potentiellen Partnerin zu stellen; auf gewohnt testosterongeladene Machos, die weder hören noch sprechen konnten – aber vor allem stießen wir auf jene Männer, die (so völlig verzweifelt und am Ende ihrer emotionalen Kräfte scheinend) auf der Suche nach der unbeschreiblichen, alleserschütternden Urknall-Liebe waren. Ja, das erschütterte in der Tat – aber von vorn.

Geht man von der zeitgenössischen Betrachtung der Pärchenfindung aus, kommt das Internet nahezu wie gerufen. Wir finden kaum noch Raum, all unsere Anrufe zu beantworten – geschweige denn die große Anzahl an E-Mails zu lesen; dafür ließen wir in den vergangenen 72 Jahren Anrufbeantworter, Mailboxen und automatische Responder-Nachrichten entwickeln, die uns diese ungemein zeitraubenden Aktivitäten verkürzen. Gott sei Dank! Als nächster Schritt – wir kamen nicht drum herum – musste die Liebessuche per Mausklick ihren Weg finden; schließlich hatten wir ja keine Zeit! […] Und so tat sie es.
Es ist jedoch verwunderlich, wie rückläufig die männliche Gefühlswelt in einer durch flüchtige Liebes-SMS und vorgefertigte Blumenversand-Sträuße eigentlich so entromantisierten Ära ist. Oder besser: Wann genau war der Zeitpunkt, an dem die Männerwelt beschloss, Aroma-Duftkerzen, ein ausgiebiges Schaumbad und stundenlange Seelenheil-Gespräche einem schnellen, unverbindlichen Quickie vorzuziehen?
Vermutlich reicht noch nicht einmal der Rückblick in die Antike. Es waren schon immer die Männer, deren lyrische Werke in die Geschichte eingingen; deren poetische Wortwahl in höchsten Tönen gelobt wurde und die man für ihre schwülstigen Liebesschwüre verehrte. Doch in einer Zeit vor unzähliger Gel-Sorten und Rasier-Balsame hatte Mann stets ein großes Ziel:
den Kampf. Länder lagen im Krieg miteinander, neue Territorien galten erobert zu werden – und wer keine blutige Schlacht fand, in die er sich heroisch stürzen konnte, nahm die Rebellion gegen die Gesellschaft auf sich, um seiner Kämpfernatur genügend Freiraum zu verschaffen.
Heute scheint es eher üblich, jeder Konfrontation aus dem Wege zu gehen – zumindest macht die männliche Bevölkerung genau diesen Anschein. Denn wenn selbst unser Bundespräsident beleidigt das Handtuch wirft und seiner Resignation dadurch wie ein pubertierendes Schulmädchen Ausdruck verleiht – was können wir da noch erwarten?
Frau hat im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte versucht, sich damit abzufinden – und  anzupassen. Wir Mädchen sind erwachsen geworden; haben den ersten großen Liebeskummer überwunden und wissen, dass auf ein „Ich ruf dich an!“ nicht zwingend auch ein Anruf folgen muss. Die Emanzipation versetzte uns einen Schub in die vordersten Reihen des gesellschaftlichen Gefüges und macht es uns nun möglich, Hosen zu tragen, allein Kinder großzuziehen – ja, wir können sogar ein ganzes Land regieren! Und dennoch forderte das Gefecht um die Gleichberechtigung seine Opfer.
 So jagen wir heute ganz eigenständig unser Mittag, können auch ohne aufgehaltene Tür einen Raum betreten und brauchen niemanden mehr, der unsere Möbel aufbaut. Es scheint, als hätten wir uns eine Vielzahl an männlichen Fähigkeiten angeeignet, um überleben zu können.

Ist das also das Resultat eines jahrzehntelangen Geschlechterkampfes? Muss Frau heute tatsächlich mehr Mann sein, als es Mann je abverlangt wurde?
Hey, Jungs! Wir wollten das Wahlrecht – keine Weicheier.
So war es wohl der Kampf, der den Mann Mann sein ließ – bis die Frau begann, ihn selbst zu kämpfen.
Was unterm Strich des monatelangen Datens, Nachrichtenverschickens und Nummernaustauschens übrig geblieben ist, lässt sich nicht konkret festmachen; ein paar nette Bekanntschaften, eine Enzyklopädie an Selbsterkenntnissen – aber vor allem die Tatsache, dass eine selbstbestimmte Frau heutzutage mehr als nur einen Klick braucht, um Kopf, Herz und Libido zu gleichen Anteilen erfüllt zu wissen.