Dienstag, 29. Januar 2013

Spieglein, Spieglein



Es sind die Spiegelneuronen, die uns im Umgang mit Kleinkindern in diese quietschige Stimmlage fallen lassen, die uns zum Gähnen bringen, wenn es unser Gegenüber tut und die für die hysterische Heulerei beim Ende von „City of Angels“ verantwortlich sind.
Die Forschung meint, das mache uns zu mitfühlenden und vor allem sozialen Wesen. Doch während ich lautstark schluchzend im Bett liege, umringt von einer Horde tränendurchnässter Taschentücher, weil Seth seine Unsterblichkeit für die Frau seines Herzens aufgibt, fühle ich mich nicht besonders verständnisvoll oder sozial. In erster Hinsicht fühle ich mich betrogen. Mal wieder: von Hollywood, vom Filmcover. Und von Maggie! Hätte sie sich nicht einfach mit ihm durch die verschwitzen Laken wälzen können, verdammt?
Doch im Gegensatz zu unkontrollierbaren Hormonschwallen, denen uns die Filmindustrie mit jedem neuen Liebesdrama schonungslos aussetzt, gibt es auch erlerntes Spiegelverhalten. Wie das Zurückwinken. Oder irritiert nach oben zuckende Mundwinkel, wenn uns der süße Typ in der Bahn anlächelt.
So bringen uns gewohnte Handlungen dazu, nicht nur entsprechend zu fühlen, sondern auch zu verhalten. Wie die Gute-Nacht-Kuss-Szenerie nach einem gelungenen Date: Bringt er uns nach Hause, um dann vor der Tür unseren Oberarm zu berühren, wissen wir, es ist Zeit, den Kopf seitlich zu neigen und die Augen zu schließen. Aktion, Re-Aktion. Bedingungen werden festgelegt: Gutes führt zu Gutem. Und Schlechtes zu Schlechtem – oder noch Schlechterem.
Ehe wir uns versehen, sind wir nicht mehr wir. Sondern wir unter der Bedingung einer Aktion. Das Katapult, das uns wohlwissend wie umgehend aus diesem vor einem Augenaufschlag noch völlig ungezwungen fabelhaften Moment herausschleudert, steht bereit. Gespannt und in Richtung Niemalsland zeigend.
Manchmal können wir nicht anders, selbst wenn wir es wollten. Weil das Spiegeln von Verhalten neurologisch bedingt ist. Und weil sich feste Verhaltensmuster so schwer lösen lassen.


Donnerstag, 24. Januar 2013

Märchenprinzessinnen und die goldene Bilanzregel



Es ist das Ertappen bei Tagträumen, überdurchschnittlich häufig und in hellen Pastelltönen. Der Blick aufs Telefon, minütlich. Und dann das nervöse Kauen auf der Unterlippe, weil es keinen Ton von sich gibt. So lange, bis es piept. Danach von vorn.
Wir sind Gefangene: in einem Turm, den wir selbst hinaufstiegen, um hinter uns die Tür zuzuschließen – und den Schlüssel aus dem Fenster zu werfen. Und nun starren wir wartend hinaus. Dabei trafen wir Vorkehrungen: Das Haar ist lang genug, wir sind ausgeschlafen. Kein Märchentrick der Welt kann uns aus der Fassung bringen, weil wir sie alle gelesen haben. Außer die Realität. Etwas, womit wir nicht gerechnet hatten. Nicht jetzt, nicht in diesem Turm.
Während wir unser Prinzessinnenkostüm, im Kleidersack vor den Motten geschützt, im Schrank verstauen, einen fixen Knoten in die Haare drehen und das sanftmütige Lächeln wieder gegen Stirnrunzeln und Zynismus eintauschen, stellt unser Gehirn eine strategische Kostenbilanz auf. Und unterm Strich wird deutlich: Unser Vermögen litt unter den Abzügen. Denn die Ansprüche des Gläubigers sind nie verschriftlicht worden. Zahlen wir mehr als einzunehmen überhaupt möglich ist? Hätten wir je ausgeschlafen genug sein können, mit Haaren so lang, dass wir eine ganze Leiter daraus hätten flechten können? Woher wissen wir, dass wir nicht immer ein bisschen overdressed sein werden, in Cinderellas Robe? Dass die gläsernen Schuhe sich nicht sonderlich eignen auf diesem unebenen Asphalt? Weil der Prinz seinen Adelstitel abgab, das Pferd verkaufte und nun in der Bar Bier für zwei fünfzig ausschenkt.
Wir glaubten fest daran, er würde nach der Spätschicht das Hemd wechseln und zu uns hinaufklettern. Doch irgendetwas kam dazwischen. Und nun stellt sich die Frage, ob Langfristigkeit und Kurzweiliges eine Ungleichheit bilden. Was uns anfangs den Tüll um die Hüften werfen ließ, wird nun zum schwarzen Loch, dessen Bedrohung uns Prinzessin Leias Laserschwert herbeiwünschen lässt.
Wir können dem miefigen Nachtleben den Rücken kehren, unseren edlen Ritter alias Tresenwirt im Zigarrenqualm stehen lassen, um auf etwas zu warten, dass mehr zum Taft und glänzenden Perlmutt passt. Oder aber wir leben damit, immer ein bisschen drüber zu sein, zu viel für die Summe x auszugeben, lassen uns eine Zigarette vom Thekennachbarn reichen und versuchen, die Ungleichung funktionieren zu lassen – das erste Mal. Denn Geben soll bekanntlich seliger sein als Nehmen, richtig?

Sonntag, 20. Januar 2013

Von Rührei und Distanzen



Manchmal beschreibt sich Distanz nicht mit ihrer Räumlichkeit, sondern allein mit ihrer Existenz: neben jemandem aufzuwachen, die Arme um Taille und Hintern, der Kopf zwischen Hals und Brüsten vergraben, Beine verschlungen und ein gemeinsames Ein- und Ausatmen verdrängt die letzte Option auf Materie dazwischen – und doch ist die Entfernung unendlich. Kein Blick und keine Berührung hilft, zu überbrücken.
Dabei ist näher nie möglicher gewesen. Nie denkbarer, so wenig in die Mitte zu lassen. Und trotzdem: Es ist der Augenblick, in dem Wimpernkränze ineinandergreifen und für eine kurze Ewigkeit aneinander festhalten. Der Moment, wenn der eine Gedanke die letzte Bahn kriegt – und der Rest, völlig abgehetzt, stehengelassen hinterherschaut.
Dann wird bewusst, dass es nicht reicht, am gleichen Ort zu sein, im selben Bett. Noch nicht mal unter derselben Decke, auf demselben Kissen, mit demselben Geschmack im Mund – nach Meersalz der Whiskey-Distellerie, dem letzten, geteilten Löffel Tiramisu. Gemeinsame Nenner kürzen sich raus und plötzlich ergibt x nur noch y mit einem Haufen unbekannter Parameter, für deren Berechnung ein Leben nicht auszureichen scheint.
Wir befinden uns an einem Ort ohne Aussicht, ohne Koordinaten und mit mindestens einem Dutzend Fluchtpunkte. Und egal wie sehr wir uns vereinen, sie wird nur deutlicher: die unausweichliche Schlucht zwischen dem, was wir dachten und dem, was ist. Während der Griff also fester, die Luft knapper und alles beide zu einem wird, liefern sich Zweifel und Furcht ein halsbrecherisches Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch noch bevor das Ziel erreicht wird, unterbricht der Tag. Erst Gähnen, dann Musik. Und dann die Frage: Lust auf Rührei?" Und plötzlich ist da nur noch der gedeckte Tisch, mit zwei Tellern, zwei Tassen und ein Sonntagmorgen, der uns trennt.

Denn es ist möglich: Wir können weiter entfernt sein, je näher wir sind. Und Nähe kann die intensivste sein, wenn Welten dazwischen liegen. Doch wenn der nächste Augenblick nur einen -aufschlag weit entfernt liegt, wie groß kann Distanz dann wirklich sein?

Montag, 14. Januar 2013

Plastikhänger oder Brillantstecker?



Das Problem mit den schönen Dingen im Leben ist, dass ihr Verlust uns schmerzt. Wie die neuen Ohrringe, die so hinreißend zum Samtkleid aussahen: Bereits im Laden wurde klar, dass nichts anderes das Outfit komplettieren könnte. Am Abend wird diese Annahme nicht nur bestätigt, sondern verleiht den Augen Extraglanz. Doch dann, am nächsten Morgen: aufgewacht mit diesem Ziehen im Bauch – weil sie nicht mehr da sind.
Irgendwo, auf dem Weg vom vierten Cosmopolitan auf die Tanzfläche, zwischen Run DMC, Aerosmith und dem Taxisitz, sind sie verloren gegangen. Und nun trauern wir nicht nur ihrem einzigartigen Funkeln hinterher, sondern verfluchen auch die Tatsache, dass wir es hätten besser wissen müssen! Eine durchtanzte Nacht, so exzessiv und voller Lichter – was zur Hölle haben wir uns dabei gedacht?
Es ziehen die Erinnerungen ans Strahlen und Glitzern vorbei, während wir, noch im ungläubigen Schockzustand verharrend, reglos an die Decke starren. Die Gedanken versuchen ein Fazit zu greifen: Vielleicht das nächste Mal weniger investieren? Statt mattiertem Gold, mit Brillanten besetzt, lieber Plastik tragen?
Es stellt sich die Frage, ob wir wirklich das haben wollen, was wir gerne hätten – wissen wir doch vorher, dass ein „ohne" nicht zu verkraften wäre, dass es danach nur schlechter ist. Dass es so lang brauchen wird, bis wir wieder fündig werden. Etwas, das uns so sehr verzückt; dieses Must-have, von dem wir nie geahnt hätten, dass wir es tatsächlich einmal finden würden. Und dann ein Leben lang mit diesem Gefühl leben müssen, es nicht mehr zu haben. Dieses andauernde Stück Leere.
Und trotzdem: Stehen wir vorm nächsten Schaufenster, in der Auslage die neue Schmuckkollektion – warum es nicht wieder tun? Das Gefühl, mit dem Freuen und Aufgeregtsein, dem Extraglanz in den Augen, dem verzückten Lächeln während des zaghaften Kopfschüttelns über die Ironie, es gefunden zu haben. Mit der Weisheit von vorher, doch der Neugier von jetzt; mit dem unbändigen Herzklopfen und dem festen Glauben an ein „auf ewig". Wenn auch nur für einen – weiteren – einzigen Abend lang.


Montag, 7. Januar 2013

Genussmoment


[...] Und in meinem Kopf nur Gottfried Benn, immer wieder: „Bis in den Mund gebräunt vom Meer.“ Weil es nach Sommer schmeckt. Und nach Frühstück auf dem Balkon riecht. Dabei hat es seit drei Tagen nicht aufgehört zu regnen.


Auch ganz ohne Warum und Weil, nur ab und zu ein bisschen Verblüfftheit, dann ein verlegenes Lächeln. Während sich Donny und Jay-Z abwechseln, es zu verstehen. Danach Lachen, wieder. Groß und weit; und mit den Augen. Gar kein Fernweh, keine Ambitionen – wenn, dann nur nach mehr vom Ganzen, ein bisschen vielleicht.

Eine Unmenge von Wörtern, gefolgt von endlosem Schweigen ohne Blinzeln. Verräterisch zuckende Brauen, wieder Verlegenheit mal Hundert. In Gedanken: Neurexan. Ohne Wirkung. Der Entschluss: Ergebung. Und dann Genuss.

Samstag, 5. Januar 2013

Froh und neu



Ein bisschen steckt er wohl in uns allen: der Neujahrsoptimismus. Ich bin mir nicht sicher, ob es die maßlose Gier in uns ist oder die pure Verzweiflung. Doch es scheint, als würde der Moment, in dem das heiße Blei ins Wasser fließt und der Glückskeks bricht, eine unbändige Panik hereinstürzen lassen. Alle Hoffnung auf „etwas Besseres“ kumuliert zur Hysterie um die Glückseligkeit. Denn irgendwie war es nie so richtig gut, das letzte Jahr. Es hätte immer ein bisschen besser sein können. Nicht?
An diesem Abend, mit Feuerwerk und Papierschlangen, Glamour und Freunden, setzen wir alles auf eine Karte, auf Rot, auf das Neue. Um in zwölf Monaten wieder die niederen Augenblicke zusammenzukehren und sie zu verfluchen. Es heißt, es gäbe kein Gutes ohne das Schlechte. Warum also fällt uns die Akzeptanz der verdammten Dinge so schrecklich schwer?