Dienstag, 2. April 2013

Neubesetzung



"As You Like It", das Stück, in dem Shakespeare bereits zum Ende des 16. Jahrhunderts feststellte:

"All the world's a stage
And all the men and women merely players;
They have their exits and their entrances,
And one man in his time plays many parts [...]"


Es ging um Liebe; die auf den ersten Blick. Auch oder vielleicht ganz besonders sie drückt uns ein bereits verfasstes Skript in die Hand – mit Handlungsrahmen, den auftretenden Protagonisten und einem Dramen-Dreieck, das ganz hollywoodesque für die großen Momente sorgen wird. Der erste Eindruck ist entscheidend. Danach gestaltet es sich eher schwierig, ein bereits vorhandenes Rollenbild zu korrigieren. Mögen einzelne Justierungen noch im Rahmen sein, endet ein spontaner Image-Wandel meist in einer mittelschweren Katastrophe. Weil wir uns daran gewöhnen – an die Rolle unseres Gegenübers. Und an unsere eigene. Wir wachsen mit ihr, lernen, innerhalb ihres Rahmens zu improvisieren und, was viel wichtiger ist: Wir perfektionieren sie.
Mehr als 300 Jahre später stellte der Soziologe Erving Goffman dafür seine Theorie zur Selbstdarstellung im Alltag auf. Der Anspruch, das eigensinnige Wesen des Einzelnen zu wahren, brachte – ähnlich wie bei Shakespeare – das Alltägliche als Schauplatz mit und machte ebenfalls jeden zum Darsteller. So liegt es an uns, eine Rolle zu wählen. Und ebenso, sie zur Oscar-Nominierung zu treiben.
Haben wir uns erst einmal entschieden, kann es schwer fallen, eine andere Ewartung zu erfüllen. Selbst dann, wenn es uns doch eigentlich ein Bedürfnis ist. Was sich für "die Unterhaltsame" langfristig bewährt hatte, kann innerhalb eines Aktes von nicht sofort erkennbarer Ernsthaftigkeit nicht nur irritierend sein, sondern das ganze Drehbuch über den Haufen werfen. Oder die Rolle des Kumpeltyps: In gemütlichen Kreisen eine beliebte Figur. Bis der andere Kumpel die Hand auf ihren Schenkel legt und leise flüstert: "Sexyness, bitte. Und: Action!"
Natürlich: Wir können alles sein. Und haben ja auch die Wahl. Wirklich gut sind wir allerdings nur in den Rollen, mit denen wir uns bereits intensiv auseinandergesetzt haben. So wäre Courtney Cox nie eine Rachel und Jennifer Aniston keine Phoebe. Aber das ist okay. Denn Courtney ist eben eine bessere Monica. [...]
Doch der Anspruch innerhalb der Filmbranche wächst. Und ehe wir uns versehen finden wir uns in Momenten wieder, in denen Vielschichtigkeit und Flexibilität innerhalb unseres Schauspiels die maßgebenden Parameter sind. Hatten wir uns gerade daran gewöhnt, uns mit der Rolle unseres Lebens abzufinden, verlangt unser Gegenüber nun, uns völlig neu zu entdecken. Das kann aufregend sein. Und gleichzeitig die blanke Angst durch die Adern jagen.
Sind wir eine wirklich so gute Aktrice, wie wir immer dachten? Oder war es nur diese eine Rolle, die uns so ausgezeichnet stand? Was, wenn unser schauspielerisches Talent nicht ausreicht, unserem neugewonnenen Publikum gerecht zu werden? Wenn wir einfach nicht aus unserer Haut können? So viel Maske kann es nicht geben, um all die Zweifel und Unsicherheit wegzupudern.
Erst einmal an diesem Punkt angelangt, müssen wir uns entscheiden: Wir können den Part absagen, obwohl das Drehbuch viel versprach. Oder aber, mit ein bisschen Übung, uns der neuen Rolle stellen; uns mit ihrem Charakter auseinandersetzen, ihn versuchen, auf die für uns bestmöglichste Art und Weise zu interpretieren. Um damit dann vielleicht noch keinen Oscar zu bekommen, aber möglicherweise für die MTV Movie Awards nominiert zu werden – in der Kategorien "Beste Newcomerin".

Montag, 1. April 2013

Feuchtigkeitspflege für die Seele



An manchen Tage habe ich das dringende Bedürfnis, mich in einen riesigen Tiegel Moisturizer zu legen, um all den rauen und widerspenstigen Zynismus aufzuweichen, der meine Gedanken in einem theatralischen Schattenspiel gefangen hält. Die blanke Lebensfreude einfach einziehen lassen. Weil an diesen Tagen kein Macadamia-Eis der Welt hilft, die Vorhänge aufzuziehen. Und der Rotwein nur halb sediert.
Das sind die Momente, in denen Prokrastination ihren Höhepunkt findet: Nichts bewegt sich – und wenn, dann nur schleichend in die völlig falsche Richtung. Dabei drängt sich die Möglichkeit, den vom letzten Pilates-Kurs noch schmerzenden Hintern hochzuhieven, um eigenhändig etwas Sonne in das Zimmer namens Kopf zu lassen, selbst in den Hintergrund.
Doch anstatt in vitalisierender Feuchtigskeitscreme zu baden, ist der Tod durch Ertrinken in sumpfigem Selbstmitleid wahrscheinlicher. Ich bin mir nicht sicher, ob das okay ist. Oder ob es "wertvolle Lebenszeit" raubt, wie Lifestyle-Magazine proklamieren. Vielleicht ist es aber auch die notwendige Ruhe vor dem Sturm, die leidvolle Inspiration des pathetischen Künstlers quasi, die nur Anlauf für den nächsten großen Schritt nimmt. Unter Berücksichtigung dieser Sichtweise verordne ich Schokolade bis zum Morgengrauen! Um sie dann guten Gewissens auf dem Laufband loszuwerden. Kreislauf? Ja. Aber ohne Startschuss auch kein ins-Ziel-Kommen.

Freitag, 15. März 2013

Es gibt immer etwas (anderes) zu tun


Hin und wieder komme ich an den Punkt, mich zu fragen, ob sie nicht genetisch bedingt ist: Disziplin. Denn dann könnte ich mich zwischen langen Durststrecken der Motivation und Weinglas-hohen Stapeln ungeöffneter Rechnungen mit medizinisch gutem Gewissen dieser Gretchenfrage entziehen. Doch bislang forschte die Wissenschaft wohl nicht gründlich genug in diesem Bereich. So passiert ist, dass ich mich mit der Tatsache auseinandersetzen muss, ein nicht besonders disziplinierter Mensch zu sein. Und dieses Label kratzt schrecklich auf der Haut!


Es ist nicht so, dass ich nicht für etwas brennen könnte. Das kann ich. Und wenn, dann lichterloh – mit Funkenflug und ewig glimmender Glut. Doch leider gehört das Begleichen der jährlichen Nebenkostenendabrechnung nicht zu den Auslösern. Das soll nicht heißen, dass ich glaube, dass das tatsächlich etwas sein könnte, das mit Euphorie zu verrichten wäre. Aber es gibt ja durchaus Menschen, die es mit innerer Zufriedenheit erfüllt, wenn sie hinter den Punkt „monatliche Fixkosten“ ein Häkchen setzen können. Mich machen diese länglichen Briefumschläge mit den kleinen Adressatenfenstern missmutig. Überhaupt ähnelt die Checkliste meines Lebens eher dem exzentrischen Moodboard eines taiwanischen Modedesigners als einem strukturierten Marketing-Guide für langfristige Zufriedenheit.
Und obwohl ich mir dessen sehr wohl bewusst bin, bringe ich es nicht übers Herz, das Gekritzel in eine Reihenfolge zu bringen. An ganz dunklen Tagen klebe ich einfach ein riesiges, mintgrün leuchtendes Post-it darauf: „Morgen!“ Und beginne eine neue Leinwand. Dass das weder gesund für meinen Geist, noch für meine kontinuierlich ausstehenden Lebenshaltungskosten ist, wird klar.
Packt mich dann der große Zweifel und zieht mich an den frisch gekurten Haaren, ist das Gejammer groß. Weil die Uhr plötzlich tickt, so laut. Und da das Schreiben ist, das bis vor einer Woche...und der Abholschein! Ein Paket? Verdammt, die Lagerungsfrist ist abgelaufen. In diesen Momenten schwöre ich mir, aufmerksamer zu sein, disziplinierter. Bis es an der Tür klingelt und durch die Sprechanlage die verführerische Einladung auf einen Kaffee im neuen Café ertönt – den Rest mach ich dann später...

Samstag, 9. März 2013

All-inclusive: Frühstück im Bett



Es ähnelt ein bisschen der morgendlichen Wahl zwischen Erdbeerkonfitüre und Schokoladenaufstrich – jedes Mal ein nervenaufreibender Akt der Unentschlossenheit und absolut überflüssig: die Tatsache, dass wir manchmal so sehr damit beschäftigt sind, uns selbst zu suchen, dass wir völlig übersehen, vielleicht bereits gefunden worden zu sein. Und der, der gefunden hat, ist zu sehr damit beschäftigt nach etwas anderem zu suchen. Weil das, was er gefunden hat, nicht das war, wonach er gesucht hatte.
So drehen wir uns nicht nur im eigenen Kreis, sondern laufen auch Gefahr, den Anschlussmoment zu verpassen. Diesen einen Augenblick, in dem weder gesucht noch gefunden, sondern plötzlich entdeckt wird. Wenn alles kurz aufhört zu wirbeln. Und wir das Mosaik für seine Bunte bewundern können – ganz ohne Rahmen, Rand oder Ende. Wenn nichts mehr Sinn ergeben muss. Weil es das bereits tut.
Warum wir uns so oft so kontinuierlich verpassen? Keine Ahnung. Wir Menschen sind nicht die schlausten. Weil wir denken, wir wüssten es besser. Glücklicher Weise reichen uns Schicksal, Karma & Co. ab und an gern eine helfende Hand. Und wenn uns der Zufall ins Gesicht springt, können wir gar nicht anders als die herzige wie hitzige Situation am gelockten Schopf oder frisch gestärkten Hemdkragen zu packen!
Und wachen wir am ersten Morgen ohne falsche Wimpern auf, mit dem Sausen im Kopf vom Wein und dem angenehmen Vertigo überall sonst von all dem anderen, dann ist da alles, was wir wollten – ohne auch nur jemals die leiseste Ahnung gehabt zu haben, dass es das sein würde: Honig statt Marmelade, Tee statt Kaffee. Und die Hand, die uns all das reicht – nicht die der kosmischen Fügung oder Vorsehung, sondern von vertrauten Armen, Augen und einem Mund, der uns versichert, dass es gut ist.

Sonntag, 17. Februar 2013

Auch Hippies sind einsam




Wann genau fing das eigentlich an? Dass zwischenmenschliche Beziehungen nicht mehr mit dem Tauschen von Sandkastenförmchen beginnen, mit dem Knutschen auf der Schaukel – sondern mit der Überlegung, wie genau dieser jemand sich in dem Bild machen würde, das wir über all die Jahre von uns selbst gemalt haben.
In der frühen Adoleszenz war es ein Leichtes: Nach dem ersten Kuss hätte wohl jeder die für ewig geglaubte Liebe lauthals vom Hochhausdach geschrien. Doch nur zehn Jahre später finden wir uns in einem Geflecht von Spielchen wieder, mit deren Regeln wir maßlos überfordert sind. Plötzlich scheinen die äußeren Faktoren uns dermaßen zu beschränken, dass unser Innerstes hintenansteht.
Wir können nicht wissen, ob unser Gegenüber bis zum nächsten Valentinstag oder für den Rest unseres Lebens bleiben wird. Vielleicht bleibt er noch nicht mal zum Frühstück. Darum versuchen wir, vorher alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, um uns abzusichern. Denn wer stürzt sich schon gern ins große Abenteuer, um dann zu merken, dass er allein mit der Machete durch den Dschungel streift? Trotzdem finden wir uns ab und an auf einem dieser Pfade wieder, die nicht wirklich nach Straße aussehen. Noch nicht mal nach Pfad, eigentlich. Nur ein Stück plattgetretenes Grün, das uns neugierig macht. Manchmal ist eben so ziemlich alles besser als das, was eigentlich sein sollte.
Während wir also bauchfrei, mit wippenden Hüften und Blumenkranz über die Wiese tänzeln, den längst verworfenen Traum des Hippietums näher als je zuvor, gerät die Sorge um Imagefragen, persönliche PR-Strategien und selbsterhaltende Marketinganalysen in den Hintergrund. Was gilt? Liebe für alle! Bis sie sich in Rauch auflöst. Und der Regen fällt. Weil auch die Blumenkinder im Plural kamen – nämlich mindestens zu zweit.

Dienstag, 29. Januar 2013

Spieglein, Spieglein



Es sind die Spiegelneuronen, die uns im Umgang mit Kleinkindern in diese quietschige Stimmlage fallen lassen, die uns zum Gähnen bringen, wenn es unser Gegenüber tut und die für die hysterische Heulerei beim Ende von „City of Angels“ verantwortlich sind.
Die Forschung meint, das mache uns zu mitfühlenden und vor allem sozialen Wesen. Doch während ich lautstark schluchzend im Bett liege, umringt von einer Horde tränendurchnässter Taschentücher, weil Seth seine Unsterblichkeit für die Frau seines Herzens aufgibt, fühle ich mich nicht besonders verständnisvoll oder sozial. In erster Hinsicht fühle ich mich betrogen. Mal wieder: von Hollywood, vom Filmcover. Und von Maggie! Hätte sie sich nicht einfach mit ihm durch die verschwitzen Laken wälzen können, verdammt?
Doch im Gegensatz zu unkontrollierbaren Hormonschwallen, denen uns die Filmindustrie mit jedem neuen Liebesdrama schonungslos aussetzt, gibt es auch erlerntes Spiegelverhalten. Wie das Zurückwinken. Oder irritiert nach oben zuckende Mundwinkel, wenn uns der süße Typ in der Bahn anlächelt.
So bringen uns gewohnte Handlungen dazu, nicht nur entsprechend zu fühlen, sondern auch zu verhalten. Wie die Gute-Nacht-Kuss-Szenerie nach einem gelungenen Date: Bringt er uns nach Hause, um dann vor der Tür unseren Oberarm zu berühren, wissen wir, es ist Zeit, den Kopf seitlich zu neigen und die Augen zu schließen. Aktion, Re-Aktion. Bedingungen werden festgelegt: Gutes führt zu Gutem. Und Schlechtes zu Schlechtem – oder noch Schlechterem.
Ehe wir uns versehen, sind wir nicht mehr wir. Sondern wir unter der Bedingung einer Aktion. Das Katapult, das uns wohlwissend wie umgehend aus diesem vor einem Augenaufschlag noch völlig ungezwungen fabelhaften Moment herausschleudert, steht bereit. Gespannt und in Richtung Niemalsland zeigend.
Manchmal können wir nicht anders, selbst wenn wir es wollten. Weil das Spiegeln von Verhalten neurologisch bedingt ist. Und weil sich feste Verhaltensmuster so schwer lösen lassen.


Donnerstag, 24. Januar 2013

Märchenprinzessinnen und die goldene Bilanzregel



Es ist das Ertappen bei Tagträumen, überdurchschnittlich häufig und in hellen Pastelltönen. Der Blick aufs Telefon, minütlich. Und dann das nervöse Kauen auf der Unterlippe, weil es keinen Ton von sich gibt. So lange, bis es piept. Danach von vorn.
Wir sind Gefangene: in einem Turm, den wir selbst hinaufstiegen, um hinter uns die Tür zuzuschließen – und den Schlüssel aus dem Fenster zu werfen. Und nun starren wir wartend hinaus. Dabei trafen wir Vorkehrungen: Das Haar ist lang genug, wir sind ausgeschlafen. Kein Märchentrick der Welt kann uns aus der Fassung bringen, weil wir sie alle gelesen haben. Außer die Realität. Etwas, womit wir nicht gerechnet hatten. Nicht jetzt, nicht in diesem Turm.
Während wir unser Prinzessinnenkostüm, im Kleidersack vor den Motten geschützt, im Schrank verstauen, einen fixen Knoten in die Haare drehen und das sanftmütige Lächeln wieder gegen Stirnrunzeln und Zynismus eintauschen, stellt unser Gehirn eine strategische Kostenbilanz auf. Und unterm Strich wird deutlich: Unser Vermögen litt unter den Abzügen. Denn die Ansprüche des Gläubigers sind nie verschriftlicht worden. Zahlen wir mehr als einzunehmen überhaupt möglich ist? Hätten wir je ausgeschlafen genug sein können, mit Haaren so lang, dass wir eine ganze Leiter daraus hätten flechten können? Woher wissen wir, dass wir nicht immer ein bisschen overdressed sein werden, in Cinderellas Robe? Dass die gläsernen Schuhe sich nicht sonderlich eignen auf diesem unebenen Asphalt? Weil der Prinz seinen Adelstitel abgab, das Pferd verkaufte und nun in der Bar Bier für zwei fünfzig ausschenkt.
Wir glaubten fest daran, er würde nach der Spätschicht das Hemd wechseln und zu uns hinaufklettern. Doch irgendetwas kam dazwischen. Und nun stellt sich die Frage, ob Langfristigkeit und Kurzweiliges eine Ungleichheit bilden. Was uns anfangs den Tüll um die Hüften werfen ließ, wird nun zum schwarzen Loch, dessen Bedrohung uns Prinzessin Leias Laserschwert herbeiwünschen lässt.
Wir können dem miefigen Nachtleben den Rücken kehren, unseren edlen Ritter alias Tresenwirt im Zigarrenqualm stehen lassen, um auf etwas zu warten, dass mehr zum Taft und glänzenden Perlmutt passt. Oder aber wir leben damit, immer ein bisschen drüber zu sein, zu viel für die Summe x auszugeben, lassen uns eine Zigarette vom Thekennachbarn reichen und versuchen, die Ungleichung funktionieren zu lassen – das erste Mal. Denn Geben soll bekanntlich seliger sein als Nehmen, richtig?

Sonntag, 20. Januar 2013

Von Rührei und Distanzen



Manchmal beschreibt sich Distanz nicht mit ihrer Räumlichkeit, sondern allein mit ihrer Existenz: neben jemandem aufzuwachen, die Arme um Taille und Hintern, der Kopf zwischen Hals und Brüsten vergraben, Beine verschlungen und ein gemeinsames Ein- und Ausatmen verdrängt die letzte Option auf Materie dazwischen – und doch ist die Entfernung unendlich. Kein Blick und keine Berührung hilft, zu überbrücken.
Dabei ist näher nie möglicher gewesen. Nie denkbarer, so wenig in die Mitte zu lassen. Und trotzdem: Es ist der Augenblick, in dem Wimpernkränze ineinandergreifen und für eine kurze Ewigkeit aneinander festhalten. Der Moment, wenn der eine Gedanke die letzte Bahn kriegt – und der Rest, völlig abgehetzt, stehengelassen hinterherschaut.
Dann wird bewusst, dass es nicht reicht, am gleichen Ort zu sein, im selben Bett. Noch nicht mal unter derselben Decke, auf demselben Kissen, mit demselben Geschmack im Mund – nach Meersalz der Whiskey-Distellerie, dem letzten, geteilten Löffel Tiramisu. Gemeinsame Nenner kürzen sich raus und plötzlich ergibt x nur noch y mit einem Haufen unbekannter Parameter, für deren Berechnung ein Leben nicht auszureichen scheint.
Wir befinden uns an einem Ort ohne Aussicht, ohne Koordinaten und mit mindestens einem Dutzend Fluchtpunkte. Und egal wie sehr wir uns vereinen, sie wird nur deutlicher: die unausweichliche Schlucht zwischen dem, was wir dachten und dem, was ist. Während der Griff also fester, die Luft knapper und alles beide zu einem wird, liefern sich Zweifel und Furcht ein halsbrecherisches Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch noch bevor das Ziel erreicht wird, unterbricht der Tag. Erst Gähnen, dann Musik. Und dann die Frage: Lust auf Rührei?" Und plötzlich ist da nur noch der gedeckte Tisch, mit zwei Tellern, zwei Tassen und ein Sonntagmorgen, der uns trennt.

Denn es ist möglich: Wir können weiter entfernt sein, je näher wir sind. Und Nähe kann die intensivste sein, wenn Welten dazwischen liegen. Doch wenn der nächste Augenblick nur einen -aufschlag weit entfernt liegt, wie groß kann Distanz dann wirklich sein?

Montag, 14. Januar 2013

Plastikhänger oder Brillantstecker?



Das Problem mit den schönen Dingen im Leben ist, dass ihr Verlust uns schmerzt. Wie die neuen Ohrringe, die so hinreißend zum Samtkleid aussahen: Bereits im Laden wurde klar, dass nichts anderes das Outfit komplettieren könnte. Am Abend wird diese Annahme nicht nur bestätigt, sondern verleiht den Augen Extraglanz. Doch dann, am nächsten Morgen: aufgewacht mit diesem Ziehen im Bauch – weil sie nicht mehr da sind.
Irgendwo, auf dem Weg vom vierten Cosmopolitan auf die Tanzfläche, zwischen Run DMC, Aerosmith und dem Taxisitz, sind sie verloren gegangen. Und nun trauern wir nicht nur ihrem einzigartigen Funkeln hinterher, sondern verfluchen auch die Tatsache, dass wir es hätten besser wissen müssen! Eine durchtanzte Nacht, so exzessiv und voller Lichter – was zur Hölle haben wir uns dabei gedacht?
Es ziehen die Erinnerungen ans Strahlen und Glitzern vorbei, während wir, noch im ungläubigen Schockzustand verharrend, reglos an die Decke starren. Die Gedanken versuchen ein Fazit zu greifen: Vielleicht das nächste Mal weniger investieren? Statt mattiertem Gold, mit Brillanten besetzt, lieber Plastik tragen?
Es stellt sich die Frage, ob wir wirklich das haben wollen, was wir gerne hätten – wissen wir doch vorher, dass ein „ohne" nicht zu verkraften wäre, dass es danach nur schlechter ist. Dass es so lang brauchen wird, bis wir wieder fündig werden. Etwas, das uns so sehr verzückt; dieses Must-have, von dem wir nie geahnt hätten, dass wir es tatsächlich einmal finden würden. Und dann ein Leben lang mit diesem Gefühl leben müssen, es nicht mehr zu haben. Dieses andauernde Stück Leere.
Und trotzdem: Stehen wir vorm nächsten Schaufenster, in der Auslage die neue Schmuckkollektion – warum es nicht wieder tun? Das Gefühl, mit dem Freuen und Aufgeregtsein, dem Extraglanz in den Augen, dem verzückten Lächeln während des zaghaften Kopfschüttelns über die Ironie, es gefunden zu haben. Mit der Weisheit von vorher, doch der Neugier von jetzt; mit dem unbändigen Herzklopfen und dem festen Glauben an ein „auf ewig". Wenn auch nur für einen – weiteren – einzigen Abend lang.


Montag, 7. Januar 2013

Genussmoment


[...] Und in meinem Kopf nur Gottfried Benn, immer wieder: „Bis in den Mund gebräunt vom Meer.“ Weil es nach Sommer schmeckt. Und nach Frühstück auf dem Balkon riecht. Dabei hat es seit drei Tagen nicht aufgehört zu regnen.


Auch ganz ohne Warum und Weil, nur ab und zu ein bisschen Verblüfftheit, dann ein verlegenes Lächeln. Während sich Donny und Jay-Z abwechseln, es zu verstehen. Danach Lachen, wieder. Groß und weit; und mit den Augen. Gar kein Fernweh, keine Ambitionen – wenn, dann nur nach mehr vom Ganzen, ein bisschen vielleicht.

Eine Unmenge von Wörtern, gefolgt von endlosem Schweigen ohne Blinzeln. Verräterisch zuckende Brauen, wieder Verlegenheit mal Hundert. In Gedanken: Neurexan. Ohne Wirkung. Der Entschluss: Ergebung. Und dann Genuss.

Samstag, 5. Januar 2013

Froh und neu



Ein bisschen steckt er wohl in uns allen: der Neujahrsoptimismus. Ich bin mir nicht sicher, ob es die maßlose Gier in uns ist oder die pure Verzweiflung. Doch es scheint, als würde der Moment, in dem das heiße Blei ins Wasser fließt und der Glückskeks bricht, eine unbändige Panik hereinstürzen lassen. Alle Hoffnung auf „etwas Besseres“ kumuliert zur Hysterie um die Glückseligkeit. Denn irgendwie war es nie so richtig gut, das letzte Jahr. Es hätte immer ein bisschen besser sein können. Nicht?
An diesem Abend, mit Feuerwerk und Papierschlangen, Glamour und Freunden, setzen wir alles auf eine Karte, auf Rot, auf das Neue. Um in zwölf Monaten wieder die niederen Augenblicke zusammenzukehren und sie zu verfluchen. Es heißt, es gäbe kein Gutes ohne das Schlechte. Warum also fällt uns die Akzeptanz der verdammten Dinge so schrecklich schwer?