Donnerstag, 17. Juni 2010

Aussehen ist alles – mehr aber auch nicht.

„Verweile doch, du bist so schön!“, schrieb Goethe einst über den Moment, der aufgrund seiner Herrlichkeit ewig andauern sollte.
Diese Art von Augenblick gibt es im Zeitalter perfektionierter Schönheit und detaillierter Ästhetisierung nur noch selten – viel zu sehr setzt uns das Streben nach Vollkommenheit unter Druck, als dass wir ein kurzes Geschehen bedingt in seiner Anmut als beglückend empfänden.
Wenn es uns dann aber tatsächlich überkommt und wir den Moment schlichtweg passieren lassen, ist es meist ganz großes Kino! – Doch wie jeder glamouröse Hollywood-Streifen ist auch der hinreißendste Augenblick meist mehr Schein als Sein und bedarf keiner tiefgründigen Analyse, um ihn zu genießen – ähnlich erging es mir mit Sven.
Er sah aus wie ein Calvin-Klein-Unterwäsche-Model aus den 90ern: nahezu perfekt; ansehnlichst verteilte Muskelmasse, ein Blick, der zum Dahinschmelzen nur so einlud und selbst die blonden Strähnchen in seinem dunklen Deckhaar, die mir für gewöhnlich nur ein entnervtes Augenrollen entlocken können, sahen so unglaublich gut aus, dass ich mindestens fünf Mal hinschauen musste, bis ich diesen hübschen Menschen ganz und gar verinnerlicht hatte.
Als Hip-Hop-Produzent lebte er innerhalb eines etwas verzerrten Weltbildes: ein nettes Anwesen im Villen-Viertel Grunewald, der dazugehörige Mercedes Roadster der SL-Klasse sowie eine geräumige Tiefgarage, die den nötigen Platz für weitere triebwerkgesteuerte Spielzeuge bot. „Geld ist mir wirklich wichtig!“ – Ach was. 

Mit unaufdringlichen Komplimenten konnte er mich zunächst von meiner tiefen Abneigung gegenüber der materialistischen Lebenseinstellung seinerseits abbringen. Die Unterhaltung war nett, wirklich nett. (Und bereits an dieser Stelle hätte ich wissen müssen, was nett wirklich zu bedeuten hatte!)
Wir sprachen zunächst über mich – eines meiner Lieblingsthemen. Er war aufmerksam, positionierte passende Kommentare mit Bedacht und gab mir schmeichelndes Feedback. Dabei faszinierten mich seine Augen so sehr, dass ich mitten in meinem ausschweifenden Monolog stoppte, um die Perfektion seiner bloßen Gestalt für einen kurzen Augenblick einzufangen.
Dann erzählte er; über sich. Und über seinen Job; über all die großen Künstler, mit denen er bereits zusammengearbeitet hatte – von denen ich mir jedoch keinen einzigen Namen gemerkt habe – und natürlich von seinem so heißbegehrten Jet-Setter-Leben, den drei Wochen in Vegas, in denen er zwei Monatsgehälter einfach so auf den Kopf gehauen hatte und von seinem Zweitwohnsitz an der Copacabana.

Ich war völlig illusioniert! Nicht etwa von seinem mehr als beeindruckenden Luxusleben. Sondern von seinen malerisch geschwungenen Lippen, dem Grübchen an der linken Wange, wenn er lachte und vor allem von seiner Nase – Gott, war seine Nase schön! 
Doch als ich den Moment gebührend ausgekostet und mich seine körperliche Attraktivität bereits vollstens befriedigt hatte, trat sein Gesagtes in den Vordergrund; damit einher ging ein mangelnder Wortwitz sowie falsch formulierte Sinnbilder, die er krampfhaft versuchte in seinem Geschwafel unterzubringen. Ihm aufmerksam zuzuhören stellte sich als pure Belastung heraus – es war anstrengend, mühselig. Dieser wunderschöne Mann hatte es wahrhaftig geschafft, mich innerhalb 90 Minuten derart zu langweilen, dass ich die nächste Gelegenheit ergriff, um mich mit einer scheinheiligen Ausrede von dieser auditiven Qual zu befreien.
So gibt es Personen, deren Schönheit sich über einen äußerst interessanten Charakter definiert und Personen, die einfach schön sind – ja, weil sie eben schön sind. Sven gehörte definitiv zur zweiten Gruppe der Belles und Beaus. Er war schön, wunderschön – mehr aber auch nicht.

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