Sonntag, 20. Januar 2013
Von Rührei und Distanzen
Manchmal beschreibt sich Distanz nicht mit ihrer Räumlichkeit, sondern allein mit ihrer Existenz: neben jemandem aufzuwachen, die Arme um Taille und Hintern, der Kopf zwischen Hals und Brüsten vergraben, Beine verschlungen und ein gemeinsames Ein- und Ausatmen verdrängt die letzte Option auf Materie dazwischen – und doch ist die Entfernung unendlich. Kein Blick und keine Berührung hilft, zu überbrücken.
Dabei ist näher nie möglicher gewesen. Nie denkbarer, so wenig in die Mitte zu lassen. Und trotzdem: Es ist der Augenblick, in dem Wimpernkränze ineinandergreifen und für eine kurze Ewigkeit aneinander festhalten. Der Moment, wenn der eine Gedanke die letzte Bahn kriegt – und der Rest, völlig abgehetzt, stehengelassen hinterherschaut.
Dann wird bewusst, dass es nicht reicht, am gleichen Ort zu sein, im selben Bett. Noch nicht mal unter derselben Decke, auf demselben Kissen, mit demselben Geschmack im Mund – nach Meersalz der Whiskey-Distellerie, dem letzten, geteilten Löffel Tiramisu. Gemeinsame Nenner kürzen sich raus und plötzlich ergibt x nur noch y mit einem Haufen unbekannter Parameter, für deren Berechnung ein Leben nicht auszureichen scheint.
Wir befinden uns an einem Ort ohne Aussicht, ohne Koordinaten und mit mindestens einem Dutzend Fluchtpunkte. Und egal wie sehr wir uns vereinen, sie wird nur deutlicher: die unausweichliche Schlucht zwischen dem, was wir dachten und dem, was ist. Während der Griff also fester, die Luft knapper und alles beide zu einem wird, liefern sich Zweifel und Furcht ein halsbrecherisches Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch noch bevor das Ziel erreicht wird, unterbricht der Tag. Erst Gähnen, dann Musik. Und dann die Frage: „Lust auf Rührei?" Und plötzlich ist da nur noch der gedeckte Tisch, mit zwei Tellern, zwei Tassen und ein Sonntagmorgen, der uns trennt.
Denn es ist möglich: Wir können weiter entfernt sein, je näher wir sind. Und Nähe kann die intensivste sein, wenn Welten dazwischen liegen. Doch wenn der nächste Augenblick nur einen -aufschlag weit entfernt liegt, wie groß kann Distanz dann wirklich sein?
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