Dienstag, 11. Mai 2010

Alle Fremdgeher mal bitte die Hand heben – Aha, Danke.

 
Das mit dem Fremdgehen ist ja immer so eine Sache. Als klassisches Opfer-Täter-Beispiel lässt so ein schwerwiegendes Drama nicht viel Platz für Theorien und Logiken. Intuitiv ergreift man Partei für den Betrogenen, der scheinbar völlig ahnungslos in sein emotionales Verderben lief und blendet jegliche Rechtfertigung des offensichtlich gefühlskalten Herzensbrechers aus. Gründe und vermeintliche Erklärungsversuche werden erst gar nicht in Frage gestellt und landen schonungslos im Restmüll für faule Ausreden.
Theoretisch ist es also recht simpel: Betrogen ist betrogen; auf körperlicher, emotionaler und vor allem geistiger Ebene. Da gibt es nichts mehr gut zu machen.
Doch da Theorie und Praxis oftmals meilenweit voneinander entfernt liegen, lohnt sich der Blick auf die Kehrseite durchaus. Denn: Auch, wenn die Antwort keinerlei Auswirkung auf eine eventuelle Entscheidung hat, steht eine unausgesprochene Frage im nunmehr leeren Raum: Warum?
Als rhetorisches Mittel verwendet, war mein Deutschlehrer einst großer Fan dieser bedeutungsschwangeren Verschwiegenheit, bedient man sich ihr jedoch außerhalb des Rahmens aller Aufsätze und Gedichtinterpretationen der Abiturphase, hallt sie gleich um ein Vielfaches heller. Denn in einem Zeitalter aufregendster Flirtchats, unzähliger Untreu-Internetforen und professioneller Seitensprungagenturen wird man von möglichen Rückmeldungen auf das große Warum? nahezu erschlagen. 
Das Erwarten von gegenseitiger Treue ist ein naiver Automatismus, der im Zuge aufkochender Hormonwallungen und elektrisierender Neurotransmitter mit der Partnerschaft Hand in Hand einhergeht – schließlich können wir nicht erwarten, dass unser Partner von nun an mit ledernen Scheuklappen durch die sexuell geladene Welt watet und jeglichem körperlichen Reiz mit kompromissloser Ignoranz begegnet.
Heißt also: Möglichkeiten findet unser Partner im gleichen Maße, wie wir sie rezipieren; und doch liegt der Unterschied darin, dass die eine Seite betrogen hat – und die andere betrogen wurde. Es lässt sich also nicht unmittelbar erkennen, dass eine hohe Anzahl aufblinkender Sex-Banner und hocherotischer Pop-Ups dazu führen, mal eben über den Tellerrand zu langen.
Gern schiebt man dabei die chromosomale Beschaffenheit vors Loch. Doch wenn das Fremdgehen-Gen auf dem (wie so oft vermuteten) Y läge, wäre die weibliche Gattung ein absolut treues Gesindel, welches nicht mit dem besten Kumpel des Partners in der Silvesternacht rumknutscht, keine heimlichen Nachrichten vom Ex empfängt und den DHL-Typen wirklich nur das Paket bringen lässt. […]
Kommen wir zum Quotenbringer der Fremdgehausreden: dem Alkohol. So abgenutzt es klingen mag, so wahrhaftig kann es für den Einzelnen sein. Doch nicht nur Spirituosen enthemmen und verändern das Wahrnehmungsvermögen.
Wie wir also sehen ist die Palette an Gründen - bedingt durch (mehr oder weniger) externe Einflüsse - ziemlich breit. Neben Aussagen wie Sie hat mich geküsst!, Das war alles rein körperlich!, Es hat nichts mit dir zu tun! und meinem derzeitigen Favoriten (da erst neulich von einem gebrochenen Herzen unter Tränen zum Besten gegeben) Aber sie war lange nicht so heiß wie du! schleichen sich nur mühsam belastende Selbstzweifel ein. Ein weiterer Fragenkatalog öffnet sich dem Verzweifelten: Was habe ich falsch gemacht? War ich nicht gut genug? Was hat sie, das ich nicht habe? Ich persönlich finde darauf nur folgende Antworten: Nichts., Doch., Nichts, rein gar nichts! 
Entschließt sich der Partner erst einmal für diesen Schritt, hat er es – wenn auch nur in Bruchteilen einer Millisekunde – bedacht. (Denn wie sagte Descartes noch gleich: "Ich denke, also bin ich." Und ohne Sein kein Handeln - so schließt sich der Kreis.) Es wurde also eine Entscheidung getroffen: Pro Fremdgehen heißt pro Konsequenz - wie die letzten Endes ausfällt, ist rein optional.
Das wiederum zeigt den Ursprung der Tat. Und ob das nun allgemeine Unzufriedenheit, chronisches Desinteresse oder belanglose Unbekümmertheit war, spielt keine Rolle. Fakt ist: Es gab einen Auslöser, der das Verhalten begünstigte - entweder erkennt man ihn und stellt sich der Herausforderung ihn zu beseitigen oder man nimmt diesen Grund an und geht!
Nichtsdestotrotz erwarten wir die notwendige Aufrichtigkeit von unserer lebenden Komponente, sodass wir an dem Punkt Sag ich’s oder sag ich’s nicht? bereits eine Seite für uns ausgelotet haben.
Gestanden ist so ein Betrug aber keineswegs schöner. Vermutlich wünscht sich die Mehrheit, es lieber erst gar nicht erfahren zu haben – aber wir wollten ja Ehrlichkeit.
Das Positive an solch einem Geständnis ist zumindest, dass die Frage Ob? schon mal außen vor ist, sodass das Herz in aller Seelenruhe an dem darauffolgenden Warum? zerbrechen kann.

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