Samstag, 4. Februar 2012

Mit Otis und 30 pinken Törtchen einen Schritt nach rechts


In Momenten der Selbstzweifel halte ich es in der Regel wie folgt: Ich versinke in den Tiefen meines Bettes, umzingelt von Kissen, Decken und weiterem Weichen, setze die Flasche Roten an und unterbreche das Kippen nur, um die schnulzigen Filmklassiker an die wirklich herzzerreißendsten Stellen vorzuspulen. Dann suhle ich mich im eigenen Mitleid und bedaure mich für die offensichtlich mehr als unfaire Version meines Lebens.
Das Ganze zieht sich meist über eine Hand voll Tage hin, in denen ich für die Außenwelt unerreichbar bin. Bis irgendjemand mal wieder nicht locker lassen kann und mich mit permanentem Telefongeklingel quasi an den Haaren aus dem wehleidigen Emotionssumpf zieht. Doch diesmal nicht. Nicht so. Ich entschied mich gegen die alte Taktik – für eine neue.  


Es brauchte diesen einen Ort, an dem mein Geist in einem gut gepolsterten Himmelbett eine Zeit lang verschnaufen kann. Weil dort das aus den Augen Geratene gleichsam aus dem Sinn verschwindet. Und um das ganze wirre Überlegungsgestrüpp endgültig gen Kopfkino-Ausgang zu lotsen, entschied ich mich im heiligen Gedankenhimmel für das für mich Undenkbare: Mit der seelischen Unterstützung von Otis Redding heizte ich den Backofen vor und griff mit beiden Händen ehrfürchtig zur Backbibel. Der Inhalt blendete: all die kleinlichen Maßeinheiten und die penible Vorschrift über das Trennen von Eigelb und -weiß. Jeder, dessen Lebensstil von Maßlosigkeit geprägt ist, weiß, wie ungeheuer einem die Konfrontation mit dem Regelkonformen sein kann.
Aber nachdem ich mich mit dem Farbverlauf der Eier siegreich herumschlug und lernte, den Mixer nicht bei voller Umdrehung aus der Rührschüssel zu nehmen, hatte es etwas sehr Beruhigendes.
Kann es manchmal nicht auch einfach offensichtlich sein? Warum immer auf die eigene Faust, wenn doch das Rezept bereits geschrieben wurde? Wir müssen keine 5-Sterne-Patissières sein, um halbwegs nette Törtchen zu kreieren – weil es im Grunde nur der richtigen Maßangabe bedarf.
Vier Stunden später war das erste Blech meines Lebens komplett: 30 kleine Schoko-Cupcakes, deren neonpinke Hauben abwechselnd mit rosaroten Herzchen und pinkem Glitter übersät waren.
Ich hatte also gebacken. Was gar nicht so unglaublich langweilig und aufwendig war, wie ich immer dachte. Gut, es ist auch kein konkurrierendes Hobby zu Bungee-Jumping – aber wenn ich mir in den Kopf zurückrufe, dass meine alternative Problembewältigung üblicherweise ihren dramatischen Höhepunkt auf dem Boden der Weinflasche bei Maggie Rices Unfall (nachdem Seth endlich seine Unsterblichkeit für sie hergab) fand, sind ein gutes Dutzend Schoko-Törtchen wohl zumindest nachhaltiger.
Und als mich der großartigste Soul-Sänger aller Zeiten über die wirklich wichtigen Ding des Lebens aufklärt, wird mir klar, dass es manchmal genau das Richtige ist: seine eigenen Klischees zu brechen, sich selbst zu verwundern. Ewig Weg x zu wählen, weil er bisher mehr zum Image der eigenen Selbstwahrnehmung passte, kann am Ende auch in eine niederschmetternde Sackgasse führen. Dann sind wir uns vielleicht auf den ersten Blick immer treu geblieben, aber der zweite fragt: Ist nicht gerade das ein bisschen zu einfach?
Und während sich das rosarote Wasser durch den Abfluss zwirbelt, wird mir klar, dass wir es sind, die die Wahl haben: Gehen wir den üblichen Weg geradeaus weiter – oder brechen wir aus, um unseretwillen, und gehen einfach mal einen Schritt nach rechts?

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