Montag, 23. April 2012

Wann laufen Erinnerungen ab?

 
Hin und wieder gibt es im Leben Dinge, an denen wir unabdingbar festhalten. Wie die alte Lieblings-Jeans, in der wir vor fünf Jahren noch den vielleicht geilsten Hintern unserer Zeit hatten, das blaue Kleid, das uns bei all den ersten Dates erneut dieses „Je ne sais quoi“ empfinden ließ oder Omas Porzellan-Schale – die vielleicht tatsächlich hässlich ist, aber uns immer wieder das Gefühl von Weihnachten ’98 durch den Körper jagt.

 

Diese Objekte leben von Erinnerungen. Sie sind emotionaler Nippes. Und solange sie uns ein beherztes Lächeln und warme Gedanken verschaffen, ist ihr Dasein auch berechtigt – irgendwie. Doch im Laufe der Jahre sammelt sich außerdem eine Menge jener Dinge an, die uns zurück ins Gedächtnis rufen, wie wir vor bestimmter Zeit niedergeschlagen und hoffnungslos vor uns hin kauerten – der festen Überzeugung, das würde ewig so sein. Diese Dinge, meist Fotos, Briefe oder verdrängte Telefonnummern auf Zetteln, sind nicht zwingend hübsche Deko. Eigentlich wollen wir sie gar nicht mehr sehen. Darum schoben wir sie irgendwann in hinterste Ecken von Schubladen, klemmten sie in ungeliebte Bücher oder legten sie auf den „Das schmeiß ich alles weg, ernsthaft!“-Stapel. Und dort existieren sie dann vor sich hin. Bis ein zu später Abend hereinbricht und uns die Melancholie der zweiten Weinflasche umarmt.
Was kann uns ein Stück Papier geben? Das Bild eines Moments, der jetzt nicht mehr ist. Die Zahlen einer Nummer, die man nie wieder wählen wollte. Oder die Worte, die sich ewig in unser Bewusstsein fraßen – bis wir sie aufschrieben, um sie zu vergessen. Welchen Sinn macht es da, diese Protokolle schrecklicher Augenblicke aufzuarbeiten? Wie lang ist zu lang, sich erinnern zu wollen?

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